Wirtschaft

Wandergesellen und das Problem mit dem Mindestlohn

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Handwerkergesellen, die auf die Walz gehen, müssen den Gesellenbrief in der Tasche haben, unverheiratet, schuldenfrei und jünger als 30 Jahre alt sein. 800 Bäcker, Zimmerer oder Dachdecker sind unterwegs. Verbände fürchten, dass der Mindestlohn die Tradition gefährdet.

Auf der Walz..Wandergesellen dürfen für Kost und Logis kein Geld ausgeben.

Erwachsene schauen neugierig. Kinder bleiben fasziniert stehen und halten ihn für einen Zauberer, einen Schornsteinfeger oder Cowboy. Maurice, 23, grinst. „Dann erkläre ich einfach, was ich tatsächlich mache“, sagt er. „Ich bin stolz darauf, die ehrbare Kluft zu tragen.“ Das Outfit des Bäckergesellen erinnert an die Berufskleidung der Zimmerleute: Die schwarze Hose mit breitem Schlag aus grobem Cord, Weste, Jackett, darunter ein kragenloses weißes Hemd und eine Melone auf dem Kopf. „Der Hut ist das Zeichen des freien Mannes“, sagt er, „den setzt man nur beim Essen ab.“ Maurice nimmt einen Schluck Rum- Cola. „Ich bin frei.“

Sein Gepäck ist übersichtlich: Kleidung, das Gesellenbuch für Reiseeinträge, eine Landkarte und persönlicher Kleinkram. Das muss für drei Jahre Wanderschaft reichen. Die Hälfte ist vorbei und Maurice hat schon überall in Deutschland gearbeitet.

Maurice ist Freireisender. Das heißt: Er hat sich an keinen Schacht gebunden. Schächte sind Handwerkervereinigungen, die sich dafür einsetzen, das Brauchtum der Walz zu pflegen und den Kontakt mit den Gesellen zu halten.

Kein Geld für Kost und Logis

Je nachdem, welchem Schacht man sich anschließt, kommen noch weitere Regeln hinzu. Wer auf die Walz gehen will, muss zum Beispiel den Gesellenbrief in der Tasche haben, unverheiratet, schuldenfrei und jünger als 30 Jahre alt sein. Wandergesellen dürfen keine Kommunikationsgeräte mitnehmen, nur Papier und Stift. Laptop und Handy sind tabu. Für Kost und Logis darf der Reisende kein Geld ausgeben und sich seinem Heimatort nicht weiter als 50 Kilometer nähern.


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„Die Kluft trage ich immer, außer in der Backstube“, sagt Maurice. Neben ihm, am Tresen von „Charly’s Treff“, macht es sich ein anderer Geselle mit Zylinder auf dem Barhocker bequem. Funzellicht, dunkles Holz, Zigarettenqualm – eine typische Kneipe. Dieses Bremer Lokal ist allerdings etwas Besonderes. Hier sind die Wände reich dekoriert mit Bildern von Menschen in Kluft, Fotos von Wandergesellen, Schusterwerkzeugen, die schon mal als Filmrequisiten herhielten und anderen Devotionalien der Walz. Nebenan befindet sich das noch urigere „Tippelei-Museum“.

Herberge für Wandergesellen. Seit 15 Jahren machen viele bei „Charly’s Treff“ in Bremen Station.

Die Kneipe samt Museum betreibt Volkhart „Charly“ Schmidtsdorff. Er unterhält seit mehr als 15 Jahren in Bremen eine Herberge für Wandergesellen. „Bei mir bekommen sie etwas zu essen und können für einen kleinen Obolus hier Platte machen. Das heißt, sie können im Dachgeschoss übernachten“, erklärt Schmidtsdorff, den alle nur Charly nennen. „Wer kein Geld hat, hat kein Geld. Der kann auch später zahlen oder bleibt einfach so ein paar Tage hier“, erklärt Charly. Wer ihm den geheimen Spruch der Wandergesellen aufsagt, dem gewährt er Logis.

Unter Wandergesellen ist das Ehrensache. Und Maurice folgt den Bräuchen seit seinen ersten Tagen auf Wanderschaft. Er will handwerklich dazulernen und etwas von der Welt sehen, bevor er irgendwo einen festen Job annimmt. Sein Plan: anderthalb Jahre arbeiten und den Rest mit Reisen verbringen. Dafür hat er sich vor anderthalb Jahren von Familie und Freunden verabschiedet, sein Heimatdorf verlassen und sich einigen Mitgesellen angeschlossen. „Wer jede Woche mit Mutti telefonieren will, für den ist die Walz nichts“, sagt er. „Die Gesellen sind für diese Lebensphase jetzt meine Familie.“

Eine Herberge in Bremen ist bei Wandergesellen seit 15 Jahren beliebt

Auf dem Tresen vor ihm liegt ein faustdicker Lederband voll eingeklebter Postkarten, handschriftlicher Grüße und Fotos – Charlys Gästebuch. Unter der Decke hängt ein Schild: „Große Freiheit Nr.1“ Gesellen, die hier unterkamen, haben zahlreich unterschrieben. „Viele, die hier waren, sagen Danke. Die Gesellen sind wie Kinder, und ich bin ihr Vater“, sagt der Rentner mit dem weißen Bart. Zehn Prozent seien Frauen, ihr Anteil könnte höher sein, findet Charly. Eine Gesellin, die der gelernte Pfleger mal aufgenommen und gesund gepflegt hatte, schrieb ihm: „Du bist der beste Papa, den es gibt.“ Da kamen Charly die Tränen.

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