Wirtschaft

“Das beliebteste Mittagessen ist noch immer die Currywurst”

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Die Deutschen wollen sich gesünder ernähren, greifen im Supermarkt aber doch wieder zu altbekannter fettiger Kost, sagt der Ernährungsmediziner Hans Hauner.

Trotz aller Vorsätze greifen viele Verbraucher mittags doch zur Currywurst.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) stellt am Mittwoch neue Erkenntnisse zu den Essgewohnheiten der Deutschen vor. Im jährlich erscheinenden Ernährungsreport geht es darum, was die Bevölkerung kocht und isst und welche Rolle Kalorien, Gesundheit und Lebensmittelpreise spielen.

Im Tagesspiegel-Interview spricht der Ernährungsexperte Hans Hauner über seine Erkenntnisse.

Herr Professor Hauner, was sind die Herausforderungen für die Ernährungspolitik?

Wir haben noch immer eine Überernährung in großen Teilen der Bevölkerung. Und auf dem Markt sind noch immer zu viele Lebensmittel, die für uns nicht sinnvoll sind. Um das zu ändern, brauchen wir ganz klar eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung.


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Sie spielen auf die sogenannte „Lebensmittelampel“ an, eine Kennzeichnung, die anhand von Farben zeigt, wie gesund Lebensmittel sind. Julia Klöckner lehnt das bislang. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein, diese Ablehnung ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn bisher ist es für Verbraucher kaum möglich, einfach zuerkennen, woraus sich sein Essen zusammensetzt. Zwar hat die EU vor sieben Jahren eingeführt, dass die Nährstoffe auf der Packung vermerkt werden, doch die Hinweise sind so klein, kryptisch und auf der Rückseite, dass das für niemanden übersichtlich und verständlich sind.

Inzwischen hat die Industrie ja ihre eigenen Kennzeichnungen entwickelt. Hat sich die Politik hier überholen lassen?

Frau Klöckner hat ja schon zu Beginn der Legislaturperiode deutlich gesagt, dass sie von der Ampel nichts hält, obwohl das Ganze da schon seit Jahren in Bewegung war. Das war nicht klug. Denn tatsächlich hat zum Beispiel der französische Konzern Danone auf seinen Produkten eine farbige Kennzeichnung namens Nutri-Score im Ausland bereits eingeführt und will ihn jetzt auch nach Deutschland bringen.

Ist der Nutri-Score denn ein gutes System?

Aus meiner Sicht ja. Das Nutri-Score System wurde von Ernährungsexperten im Auftrag des französischen Gesundheitsministeriums entwickelt. Frankreich hat ihn bereits auf freiwilliger Basis übernommen, andere Länder wie die Schweiz, Belgien, Portugal oder Spanien denken auch darüber nach. Im Übrigen wird in Brüssel gerade beraten, Informationen über Inhaltsstoffe auf der Vorderseite von Produkten vorzuschreiben. Spätestens dann müsste die Gesetzgebung in Deutschland ohnehin umdenken.

Weshalb sperrt sich das Ernährungsministerium gegen die Ampel?

Julia Klöckners Haus ist umgeben von Lobbygruppen aus der Ernährungsindustrie. Fachleute haben da nichts zu sagen. Der bisherige Konsens, alle Veränderungen freiwillig und selbstverpflichtend mit vagen Zielsetzungen für 2025 anzugehen, ist dementsprechend auch nicht zielführend für die Verbraucher. Das ist viel mehr eine Abwehrstrategie der Industrie, sich vor Auflagen zu schützen. Das haben ähnliche Regelungen in den Niederlanden, Australien oder England in der Vergangenheit gezeigt.

Viele Konzerne haben ja angekündigt, etwa den Zuckergehalt in ihren Produkten zu reduzieren. Ist das also nur PR?

Das sind zunächst nur Absichtserklärungen. Ohne Transparenz und Überprüfbarkeit durch unabhängige Experten sind solche Äußerungen wertlos und eher PR. Hier muss man aber auch den Verbraucher in die Pflicht nehmen. Denn die Industrie wäre durchaus in der Lage, ihre Produkte zu reformulieren. Doch die Konzerne betreiben ja viel Marktforschung. Sie wissen, dass die Kunden am Ende doch lieber die etablierten Produkte kaufen.

Aber gibt es nicht gerade einen Trend, dass Kunden gesündere Produkte fordern?

Den Trend gibt es, doch der Verbraucher ist in dieser Hinsicht etwas schizophren. Er fordert gesunde Produkte, aber wenn er dann im Supermarkt steht, kauft er doch wieder die altbekannte fettige Wurst. Man sieht das schon daran, dass das beliebteste Mittagsessen noch immer die Currywurst ist, gefolgt von Pizza. Das ist auch kein Wunder, schließlich ist unser Geschmack das Ergebnis einer langen Prägung, die wir seit frühester Kindheit erfahren.

Hans Hauner ist Professor für Ernährungsmedizin an der TU München.

Also bleibt alles beim Alten?

Nicht zwangsläufig. Danone etwa hat die Rezeptur seiner Fruchtzwerge immer wieder verändert und gesünder gemacht. Freilich in kleinen Schritten und ohne das offen zu kommunizieren, weil der Verbraucher ja misstrauisch wird, wenn sich etwas ändert.

Die Industrie traut sich also nicht, weil die Kunden nicht mitziehen?

Ja und weil es bei den Herstellern in den Verhandlungen mit den Handel um jeden Cent geht. Die Margen sind da so klein, dass die Hersteller kaum Spielraum haben. Solche Veränderungen werden daher ohnehin nur in Märkten ausprobiert, die offen dafür sind. Das ist in einigen anderen europäischen Ländern durchaus anders.

Wie kann man denn zum Beispiel eine Pizza gesünder machen?

Wir versuchen an meinem Institut gemeinsam mit Partnern auch aus der Industrie Convenience-Produkte wie Pizza zu verbessern, ohne dass sich der Geschmack verändert. Das geht durchaus, indem man zum Beispiel Ballaststoffe aus Getreidefasern zuführt. Gleichzeitig ist es uns gelungen, auch den Energiegehalt so zu senken.

Was für Veränderungen wird das Jahr 2019 beim Thema Ernährung bringen?

Die jungen Leute sind ja glücklicherweise zunehmend gesundheitsbewusst in Sachen Essen und offen für neue Geschmäcker. Daher denke ich, dass wir weitere neue Produkte von Start-ups und neue Gerichte in der Gastronomie sehen werden. Insgesamt wird der Trend der Diversifizierung, also die breite Fächerung und Vielfältigkeit der Geschmackspalette, anhalten. Auch der Trend zum bequemen Konsum außer Haus hält an, nur noch in einer Minderheit der Haushalte wird regelmäßig gekocht.

Professor Hans Hauner hat an der TU München eine Professur für Ernährungsmedizin inne und ist seit 2003 Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin.

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